Wohnen ist Menschenrecht
Schlüssel
Wohnungslosigkeit bis 2030 überwinden
 Jahre
 Monate
 Tage
 Stunden

Suchtkrank und wohnungslos – wohnungslos und suchtkrank: Wie können Hilfen bedarfsgerecht erfolgen?

Diese Frage stand über der Kooperationstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unterstützt wurde. Vier der Tagungsbeiträge bilden den Schwerpunkt dieser Ausgabe der wohnungslos. Die Tagung verfolgte erneut das Ziel, auf die Frage nach bedarfsgerechten Hilfen angemessene und weiterführende Antworten zu finden. Mit 125 Teilnehmenden zeigte die Tagung, wie groß der Wunsch nach systemübergreifenden, interdisziplinären und niedrigschwelligen Kooperationen ist. Im digitalen Raum tauschten sich die Teilnehmenden über die bestehenden Herausforderungen der beiden Hilfesysteme aus, ermittelten die Bedarfe und analysierten die Möglichkeiten der Kooperationen. Auf dieser Grundlage und anhand gelingender Zusammenarbeit formulierten sie die notwendigen Rahmenbedingungen. Die Berichte aus der Praxis zeigten, dass es erfolgreiche Vernetzung und Kooperation gibt.

In Hinblick auf die besondere Situation von wohnungslosen Menschen mit Suchterfahrung muss berücksichtigt werden, dass die Veränderung des Suchtverhaltens einer umfassenden Veränderung des gesamten Problemlagengefüges bedarf. Sucht ist häufig nur ein Aspekt der komplexen Problemlagen und Ausgrenzungssituationen von wohnungslosen Menschen. Die Hilfen nach §§ 67ff. SGB XII sind darauf ausgerichtet, sich der gesamten Problemlagen anzunehmen. Prof. Dr. Falk Roscher erläuterte in seinem Vortrag, wie im Prozess der Hilfe nach § 67 SGB XII diese als „Leithilfe“ „geeignete“ Leistungen auf der Basis zweier (oder mehrerer) Rechtsgrundlagen zu einem individuellen Hilfeangebot schrittweise zusammengeführt. Als Fazit der Tagung ist festzuhalten, um vorhandene Barrieren in den Strukturen und Köpfen zu lösen und die bereits positiven Ansätze weiterzuentwickeln, muss der begonnene Dialog weitergeführt werden. Es ist gleichermaßen erfreulich und begrüßenswert, dass die Bereitschaft des Bundesministeriums für Gesundheit vorhanden ist, die Kooperation von Suchthilfe und Wohnungsnotfallhilfe weiter zu unterstützen. Lassen Sie uns also konstruktiv weiter zusammen an einer verbesserten Kooperation auf allen Ebenen arbeiten!

Sucht- und Wohnungsnotfallhilfe haben ihre größte Schnittmenge in der Angebotsarchitektur im niedrigschwelligen Bereich. Die aufsuchende Arbeit, Kontaktläden und andere Anlaufstellen bieten durch eine akzeptierende Haltung niedrige Zugangshürden. Schadensminimierung und die Sicherung existentieller Bedürfnisse stehen hier im Vordergrund. Den Arbeitsalltag und Angebotsstruktur in diesem Bereich stellt Josch Krause in seinem Beitrag „Für Elise“, für das Drogenhilfezentrum in Hamm vor.

Das Maß an Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Einrichtungen oder Abteilungen hat sich erhöht; besonders dann, wenn unter dem Dach eines Trägers die beide Hilfesysteme vorzufinden sind. Die Rolle der Sucht- und Wohnungsnotfallhilfe bei drohendem Wohnungsverlust wird durch Nina Gludovacz, Doreen Petri und Michèle Andiel am Beispiel der Neuen Wohnraumhilfe e.V. Darmstadt vorgestellt. Angebote für unterschiedliche Bedarfsgruppen wurden von beiden Hilfesystemen entwickelt: Am Beispiel von jungen wohnungslosen Volljährigen zwischen 18 und 27 Jahren mit Suchterfahrung zeigt Sonja Hagenmayer von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V. auf, welche rechtskreisübergreifenden Hilfen notwendig sind, um den Personenkreis adäquat zu erreichen. Hieran schließt sich als vierter Beitrag des Schwerpunktes Lukas Brinker mit Einblicken in die Arbeit der EUROPA:BRÜCKE:MÜNSTER plus an. Anhand von Fallbeispielen wohnungsloser, suchtkranker Menschen, die als EU-Bürger aufgrund der Gesetzeslage ohne Leistungsberechtigung und Krankenversicherungsschutz sind, zeigt er Grenzen der Sozialen Arbeit auf.

Im Anschluss an den Themenschwerpunkt dokumentiert diese Ausgabe aktuelle Empfehlungen der BAG Wohnungslosenhilfe. Das „Bundesteilhabegesetz“ wird zu Veränderungen auch in der Wohnungsnotfallhilfe führen. Mit der aktuellen Empfehlung zum Verhältnis der Leistungen der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten gem. §§ 67 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu den Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nimmt die BAG Wohnungslosenhilfe eine grundsätzliche Positionsbestimmung vor, um der Praxis Orientierung und Handlungshinweise zu geben. Die Corona-Pandemie hat zu problematischen Zugängen u. a. auch bei den Jobcentern geführt. Die Empfehlung „Gemeinsam mehr erreichen“ gibt wichtige Hinweise und Praxisbeispiele zur vernetzten Zusammenarbeit in den Rechtskreisen von SGB II und SGB XII zur sozialen Teilhabe und Arbeitsmarktintegration von Menschen in Wohnungsnot und sozialen Schwierigkeiten, die auch bei der Bewältigung der Pandemiefolgen von Nutzen sein werden. Daran schließt sich die wichtige Empfehlung zum Gewaltschutz für Frauen in der Wohnungsnotfallhilfe an, sie zeigt die notwendigen Schritte zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Hilfesystem auf.

Unter der Rubrik Praxis plädieren Gerd Reifferscheid und Wolfgang Schwarzer für die Fort- und Weiterbildung in der Arbeit mit wohnungslosen Menschen, um langfristig die integrative Leistung der Sozialen Arbeit zu gewährleisten.

Relevante Ergebnisse der Rechtsprechung für die Wohnungsnotfallhilfe stellt Manfred Hammel vor. Sie zielen auf die örtliche Zuständigkeit einer Ordnungsbehörde, die (Un-) Freiwilligkeit einer Obdachlosigkeit und auf das Verhältnis zwischen den Hilfen nach den §§ 67 ff. SGB XII und der Pflicht einer Kommune zur ordnungsrechtlichen Unterbringung. Der Magazinteil beinhaltet neben einem Monitoringbericht der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zu den Folgen der Covid 19-Pandemie auch die Reaktion der BAG Wohnungslosenhilfe auf den VI. Armuts- und Reichtumsbericht, worin sie eine umfassende Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit fordert.

Abschließend möchten wir noch auf aktuelle Tagungen der BAG Wohnungslosenhilfe (30. August und 10. September) hinweisen, zu denen Sie die Flyer in dieser Ausgabe und weiterführende Hinweise auf der Internetseite finden.

Sabine Bösing
Joachim Krauß, BAG W