Wohnen ist Menschenrecht

Neue Wohnungsnot in Deutschland

Inzwischen deutet vieles daraufhin, dass diese Überschrift nicht mehr mit einem Fragezeichen versehen werden kann. Die BAG Wohnungslosenhilfe schätzt für 2010 248.000 Wohnungslose – damit ist nach über zehn Jahren die Gesamtzahl der in Deutschland wohnungslos gewordenen Menschen wieder deutlich gestiegen. Bis zum Jahr 2015 prognostiziert die BAG W einen weiteren Anstieg um 10 bis 15 %. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt wird für einkommensarme Mieter und für Wohnungslose folglich noch schwieriger. In vielen Regionen gibt es bereits kaum noch preiswerte Wohnungen – insbesondere fehlen sie im Segment der preiswerten Kleinwohnungen. Matthias Günther, Pestel Institut, Hannover, hat in seiner Untersuchung im Auftrag der Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ die Entwicklung der letzten Jahre von Bevölkerung, Haushalten und Wohnungsbau aufbereitet. Mit einer Modellrechnung bis 2017 wird aufgezeigt, wie sich die Wohnungsversorgung in den einzelnen Regionen entwickeln wird. Sein Fazit: „Der Demografische Wandel bringt noch keine Entlastung der Wohnungsmärkte.

Die Landflucht und das Verbleiben in den Städten führen zu wachsenden Leerständen in ländlichen Räumen bei gleichzeitiger Verknappung von Wohnraum in den Ballungsräumen. Deutschland hat eine neue Wohnungsnot.“ Auch Volker Eichener, EBZ Business School, Bochum, beantwortet die Frage nach der Wohnungsnot eindeutig: „Deutschland hat wieder eine Wohnungsnot. Die Wohnungsnot ist nicht gefühlt: Die Angebotsmieten, als objektive Indikatoren für Knappheit, sind in den letzten vier Jahren im Durchschnitt aller kreisfreien Städte um 11 % gestiegen, in Hamburg sogar um 28%“. In seiner Studie, ebenfalls im Auftrag der Initiative „Impulse für den Wohnungsbau“, befasst er sich mit den Zuständigkeiten und Handlungsnotwendigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet Christian Lieberknecht aus der Perspektive des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen die neuen Aufgaben der Wohnungspolitik und plädiert für eine angemessene Fortführung der Sozialen Wohnraumförderung auch nach 2013. Mit wichtigen Einzelaspekten beschäftigen sich Norbert Eisenschmid, Rechtsanwalt, Berlin, und Roland Rosenow, Institut für Sozialrecht, Freiburg. Norbert Eisenschmid nimmt die Mietrechtsreform 2012 unter die Lupe. Im Mai hat die Bundesregierung einen Kabinettsentwurf zur Mietrechtsänderung vorgelegt: das „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln“. Ein erstes Fazit der Betrachtung lautet, dass die von der Bundesregierung im Bereich der energetischen Modernisierung geplanten Maßnahmen überflüssig sind: „Wenn es ein Dilemma gibt, dann entsteht es zunächst daraus, dass eine Umlage der Modernisierungskosten die Kaufkraft vieler Mieter übersteigt.“

Deswegen fordert Eisenschmid u.a., dass ALG II und Wohngeld energiepolitische Elemente enthalten müssten, denn Mieterhaushalte mit geringem Einkommen seien überfordert, wenn eine energetische Modernisierung erfolge, mit der die Wohnungen aus den Regelsätzen für die „angemessenen Kosten der Unterkunft“ herausmodernisiert würden. Das Mietrechtsänderungsgesetz sieht auch vor, dass die Räumung eines Mieters im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden kann. Dieser Teil des Gesetzentwurfs solle – so Eisenschmid – ersatzlos gestrichen werden, vor allem auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Das Bundesverfassungsgericht habe das Besitzrecht des Mieters unter den Schutz des Art. 14 GG gestellt. Im Streitfall seien daher die gleichrangigen Rechtsgüter „Besitzrecht des Mieters“ und „Eigentumsrecht des Vermieters“ gegeneinander abzuwägen. Die Regelung des Verlustes der Mietwohnung im Schnellverfahren wegen Verstoßes gegen eine richterliche Verfügung verkenne den dem Besitzrecht des Mieters zukommenden Grundrechtsschutz. Auf Wohnungsmärkten mit fehlendem preiswerten Wohnraum verschärfen die sog. „angemessenen Kosten der Unterkunft“ die Situation. Die Einstiegsmiete für viele ALG II-Beziehende liegt häufig bereits am obersten Rand der sog. Angemessenheit und bei der ersten Preissteigerung bereits darüber – mit der Konsequenz von Zuzahlungen aus dem Regelsatz und vor allem auch der Folge, dass im Fall von Mietschulden diese nicht übernommen werden, da die Angemessenheit nicht mehr gewahrt ist. Der Beitrag von Roland Rosenow beschäftigt sich detailliert mit der Problematik der angemessenen Miete. Er beleuchtet dabei die Methoden zur Bestimmung der Mietobergrenze, die Rechtslage, die offenen Fragen zur Rechtslage und die Praxis der Kommunen.

Wir hoffen, Ihnen mit unserer wohnungslos-Ausgabe zum Thema „Neue Wohnungsnot in Deutschland“ eine gute Übersicht über die aktuellen Diskussionen und Problembereiche verschaffen zu können.

Werena Rosenke
Schriftleitung wohnungslos