Eine Gesellschaft ist an ihrem Umgang mit ihren Schwächsten zu messen und daran, welchen Schutz sie ihnen zukommen lässt. Warum gehört es dann zum Alltag wohnungsloser und insbesondere obdachloser Menschen, Vorurteilen und Stigmatisierungen ausgesetzt zu sein? Sie erfahren vielfache Diskriminierungen, Vertreibungen aus dem öffentlichen Raum und/oder werden Opfer von gewalttätigen Übergriffen.
Damit ist es mehr als gerechtfertigt, einmal mehr das Thema Gewalt zum Schwerpunkt einer Ausgabe der wohnungslos zu machen. Die unmittelbar physische Gewalt entsteht in einer jeweiligen Einzelsituation und ist jeweils individuell aufzuklären und zu verfolgen. Aber die Gewalt gegen wohnungslose und insbesondere obdachlose Menschen ist nicht als Einzeltat verstehbar, sondern in einen weiteren gesellschaftlichen Kontext eingebunden. Zu ihm gehören Diskriminierungen und Ausgrenzungen in vielen Lebensbereichen, unterlassene Unterstützungsgewährung, menschenunwürdige Wohn- oder Unterbringungsverhältnisse, Abwertungen etc.
Einführend gibt Paul Neupert auf der Grundlage des Pressemonitorings der BAG W zu Gewalt gegen wohnungslose Menschen einen umfassenden Einblick in die Problematik. Anhand der Gewaltdokumentation stellt er die Ergebnisse für die Jahre von 1989 bis in die Gegenwart vor und ordnet sie ein. Im zweiten Beitrag stellen die Autorin und Autoren
Untersuchungsergebnisse zu Diskriminierung und Barrieren wohnungsloser Menschen am Wohnungsmarkt vor. Christoph Gille, Arnd Liesendahl, Michael Müller, Anne van Rießen präsentieren eine partizipative Forschung, zu der zwei ehemals wohnungslose Männer den Anstoß gaben, die ihr Erfahrungswissen zu diesem wichtigen Thema in die Studie einbrachten.
Die BAG W ist in diesem Jahr dem Bündnis „AGG-Reform jetzt“ beigetreten. Für die BAG W ist insbesondere die Aufnahme des Merkmals sozialer Status als Diskriminierungskategorie bei der Novelle des im Jahr 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes von Bedeutung.
Für die Zeitschrift führten wir hierzu ein Interview mit Ezgi Özcan und Alexander Thom von der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt „Fair mieten – Fair wohnen“.
Diskriminierungen gehen mit Stigmatisierungen einher. Diese bereiten oft das „Feld“, um eine Schlechterbehandlung als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Das zeigt sich auch an der Stigmatisierung von EU-Zugewanderten und ihre Folgen. Diesem Thema widmet sich Joachim Krauß in dem Beitrag Bei „fremder“ Armut nicht zuständig. Jan Finzi präsentiert anschließend seine Untersuchungsergebnisse zur Stigmatisierung von Wohnungsnot. Einen weiteren wichtigen Fokus richtet Cora Ormeloh mit der Betrachtung Rechtliche Rahmenbedingungen zur Nutzung des öffentlichen Raums und des Einschreitens von Sicherheits- und Ordnungsbehörden die sie anhand Berliner Praxis durchführt.
In dieser Ausgabe weichen wir von der üblichen Abfolge der Rubriken ab, da sich die im Bereich Rechtsprechung von Manfred Hammel behandelten Fälle ebenfalls mit der Vertreibung aus dem öffentlichen Raum beschäftigen und sich gut in den Themenschwerpunkt eingliedern. Es geht um die immer wieder anzutreffenden Versuche, durch kommunale Verfügungen gegen Betteln vorzugehen.
In der Rubrik Theorie und Forschung findet sich eine Evaluation der Bundesstatistik wohnungsloser Menschen 2022 durch Thomas Specht.
Bitte beachten Sie auch die BAG W-Stellungnahme zur langfristigen und verlässlichen Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsmarktintegration von Menschen in Wohnungslosigkeit.
Die Beiträge dieser Ausgabe verdeutlichen verschiedene Aspekte des anwaltlichen Auftrags an die Wohnungsnotfallhilfen. Auch in diesem Sinne beschließen wir das vorliegende Heft mit einer Erinnerung an die Kältetoten des Winters 2023/24.
Zum Schluss bleibt wie gewohnt den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu danken. Ihnen als unserer Leserschaft möge die Lektüre von Nutzen sein. Kommen Sie gut durch die Herbsttage.
Joachim Krauß
Schriftleitung wohnungslos